Mythos Lesen

2021

Pressestimmen

»Benesch hat mit diesem Heftchen ein Produkt geschaffen, das durchaus Chancen hat, auch in die Finger von Nicht-Amerikanist/innen und sogar weniger lese-affinen Menschen zu gelangen. Damit hat Benesch schon mehr geschafft als so manchem anderen auch in einer jahrzehntelangen Wissenschaftskarriere gelingt.« Silke Schmidt, https://silkeschmidt-32637.medium.com, 05.07.2021 »Ein knapp hundert Seiten langer Essay, in dem der Verfasser, erfreulicherweise, darauf verzichtet, kulturkonservative Gemeinplatze zu bedienen. Kritisch diskutiert werden derartige Positionen trotzdem. Dieser Punkt erhöht den Unterhaltungswert des Ganzen.« “Sven Schopf
(@sven_wilhelm, lnstagram, 17.05.2021 »Gerade wegen seiner kritischen Töne und dem pathosfreien Blick auf’s Buch ist Beneschs Abhandlung das, was sie sein will: ein Plädoyer für’s Lesen.« Linn Penelope Micklitz, Logbuch, Fruhling 2021 /https://kreuzer-leipzig.de, 05.07.2021 O-Ton: »Früher haben die Leute weniger gelesen« – Klaus Benesch im Interview bei der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung am 23.04.2021. O-Ton: »Nicht mit kulturkritischem Geraune aufhalten« – Klaus Benesch im Gespräch beim Deutschlandfunk am 19.04.2021. Besprochen in: https://www.buchkomplizen.de, 16.03.2021 Telepolis, 16.03.2021 ekz, 16 (2021) https://uni-muenster.de, 05.05.2021
www.literaturkritik.de, 03.08.2021, Julian lngelmann

Über den Autor

Klaus Benesch, geb. 1958, ist Professor fur Nordamerikastudien an der Ludwig-Maximilians-Universität München und war von 2006 bis 2013 Direktor der Bayerischen Amerika ­Akademie, München. Er hat an zahlreichen europaischen und amerikanischen Universitaten gelehrt und war 2004 Mellon Fellow am Harry Ransom Humanities Research Center der Universitat von Texas, Austin.

Zum Inhalt

Mythos Lesen untersucht die sich wandelnde Rolle des Lesens und der mit ihm eng verbundenen Geisteswissenschaften im Informationszeitalter. Tatsächlich sind die Unkenrufe angesichts einer angeblich lesefeindlichen gesellschaftlichen Wirklichkeit deutlich älter als die digitalen Medien, von denen viele mutmaßen, sie seien die eigentlich Schuldigen am Verlust unserer Lesekompetenz. Medien, Verlage, Bildungsforscher, Wissenschaftsmanager und Politiker beklagen den drohenden Verlust dieser für den gesellschaftlichen Zusammenhalt unverzichtbaren Fähigkeit des Lesens, und sie warnen vor einer Zukunft, in der die meisten ein Smartphone und einen Computer aber nur noch wenige ein Buch besitzen.

Der in regelmäßigen Abständen ausgerufene Niedergang des Lesens hat Auswirkungen auf fast alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Der größte Kollateralschaden entsteht jedoch dort, wo Lesen wesentlich die Identität eines ganzen Berufsstandes prägt und von diesem als unverzichtbar angesehen wird. Da die kritische Lektüre von Büchern zu den basalen Kompetenzen der Geisteswissenschaften gehört, hat jede Veränderung im Leseverhalten notwendig Auswirkungen auf das Selbst- und Fremdverständnis dieser sich primär über Bücher definierenden Disziplinen. Schwindende Lesekompetenz stellt die Geisteswissenschaften daher vor die größte Herausforderung seit ihrer Entstehung aus dem Geist des deutschen Idealismus. Ohne Leser keine oder höchstens eine Geisteswissenschaft light, so befürchten viele innerhalb aber auch außerhalb des akademischen Elfenbeinturms.

Was aber, wenn das Lesen langer, komplexer und oft nur schwer zugänglicher Texte gar nicht ursächlich für die ihm zugeschriebenen positiven Rückkoppelungen im moralisch-ethischen Bereich verantwortlich wäre? Was, wenn das von Lernpsychologen und Philologen gleichermaßen beschworene, sogenannte deep reading seine ethisch-moralische Kraft nicht aufgrund des Lesens als solchem, sondern schlicht aufgrund der Hingabe an einen Gegenstand entfachte, eine Hingabe, die sich dann vielleicht auch auf anderem Weg erreichen und verfestigen ließe? Was, wenn Geisteswissenschaft sich allgemein über den intensiven öffentlichen Austausch von Ideen definierte, als dessen Medium dann das Lesen langer Texte als eine mögliche, nicht aber als eine unabdingbare Voraussetzung angenommen werden müsste? Wie also umgehen mit der vermeintlichen Leseunlust der digital sozialisierten ‘Generation Z’ , aus der die Geisteswissenschaften ihre Klientel rekrutieren? Und läutet dieser Wandel tatsächlich den Um- und Aufbruch in ein neues Zeitalter der Gegenaufklärung ein, in dem lesegestörte Primaten den Ton angeben und die großen Werke der Weltliteratur zu billigen massenkulturellen Versatzstücken verkommen?

Die Gründe für den Prestigeverlust von Buchkultur und Geisteswissenschaften sind vielfältig. Niemand weiß, wie die Zukunft des Lesens tatsächlich aussehen wird. Aber einiges — wenn auch vorläufiges — lässt sich dennoch aus den einschneidenden Entwicklungen der letzten zwanzig Jahre extrapolieren. Um ein breites Spektrum unterschiedlicher Positionen zu Wort kommen zu lassen, nimmt der Essay die Zukunft des Lesens und der Geisteswissenschaften nicht nur aus Sicht der Leseforschung und der Literaturwissenschaften in den Blick. Da der bürgerlichen Tugend des Lesens von Büchern im Laufe ihrer gut zweihundertjährigen Geschichte immer wieder das Potential zu moralisch-ethischer Erziehung zugesprochen wurde, verlangt das Fragen nach der Rolle des Lesens und der Geisteswissenschaften im digitalen Zeitalter die Ausweitung der Perspektive in den Bereich der Gesellschafts- und Wissenschaftspolitik.


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