1990
The Threat of History.
Geschichte und Erzählung im afro-amerikanischen Roman der Gegenwart
Klaus Benesch
[The Threat of History – Narrative Discourse and Historical Consciousness in Contemporary Afro-American Prose Fiction.] Dissertation, München (Prof. Dr. Klaus Poenicke). Arbeiten zur Amerikanistik, Bd. 5, Hrsg. Peter Freese. Essen: Die Blaue Eule, 1990, 244 pp., DM 44.-.
In einer unlängst erschienenen Gesamtdarstellung des afro-amerikanischen Romans kommt Bernard W. Bell zu dem Schluß, “[that] the difference between the Euro-American and Afro-American novel, […], is not to be found merely in the different historical circumstances that fostered them but also in the dynamics of the individual and collective formal use of the narrative tradition by Afro-Americans to illuminate both the limitation and possibilities of the human condition from their perspective”.[1] Dies vorausgesetzt, muß jede kritische Beschäftigung mit afro-amerikanischer Literatur sich eingangs die Frage stellen, welche Bedeutung sie den historischen, soziokulturellen und narrativen Besonderheiten dieser Textgruppe zumißt. Anders ausgedrückt, tendiert sie dazu, die spezifischen Produktionsbedingungen und frames of reference afro-amerikanischer AutorInnen zu vernachlässigen oder aber, im Gegenteil, herauszuarbeiten und zu akzentuieren.
Was die vorliegende Untersuchung anbelangt, so geht sie von einem Ansatz aus, der weniger nach dem Gemeinsamen, nach den Überschneidungen einer als multikulturell verstandenen amerikanischen Literatur sucht[2], als vielmehr den spezifischen Zugriff zeitgenössischer afro-amerikanischer AutorInnen auf bestimmte Erzähltraditionen, genauer: die Autobiographie und den Roman, und ihre Auseinandersetzung mit der besonderen Beziehung dieser Formen zu Geschichte herausarbeiten will. Als Arbeitshypothese dient dabei die Annahme, daß hier persönlich berichteter Erfahrung, dem Erzählen von Geschichten im Kontext der vermeintlichen kollektiven Geschichtslosigkeit, ein herausragender Stellenwert zukommt. Da hiervon sowohl Fragen nach der Geschichte selbst, nach ihrem Diskurscharakter und den Bedingungen, unter denen sie sich konstituiert, als auch nach dem Verhältnis von literarischer Fiktion und historischem Wirklichkeitsbericht, d.h. “eigentlicher” Geschichtsschreibung, berührt werden, schien es notwendig, den einzelnen Textanalysen eine theoretische Erörterung dieser Problembereiche voranzustellen.
Meine Auseinandersetzung mit Geschichte unter dem Aspekt der Dokumentation von »Originalität« wurde durch einen Aufsatz von James A. Snead, “Repetition as a Figure of Black Culture”, angeregt.[3] Sneads Vorschlag, Kulturen danach einzuteilen, ob sie “Wiederholung” zulassen oder aber dazu tendieren, sie zu unterdrücken und auszuschließen, habe ich auf »Geschichte« und den geschichtsphilosophischen Diskurs innerhalb der westlichen Kultur zu übertragen versucht. Die Kapitel 3 und 4 des ersten Teils setzen sich dann zum einen mit der Genese manichäistischer Ordungsmuster, der gezielten Stigmatisierung des “Schwarzen” innerhalb der europäisch-amerikanischen Literatur- und Kulturgeschichte auseinander und dokumentieren zum anderen, am Beispiel afro-amerikanischer “oral tradition”, die Abwehrstrategien und den anhaltenden Versuch der Betroffenen, ihrem Ausschluß vom gesellschaftlichen und historischen Diskurs der dominanten Kultur entgegenzuwirken. Nur vor diesem Hintergrund, so scheint mir, lassen sich adäquate Aussagen über das Verhältnis von »Geschichte« und »Erzählung«, von historical narrative und narrative fiction, im afro-amerikanischen Roman der Gegenwart formulieren.
Die beschränkte Auswahl der in Teil III diskutierten Romane dagegen hat ausschließlich pragmatische Ursachen. Sie ist, wie die zahlreichen Querverweise auf andere Texte aus diesem Bereich belegen, keineswegs erschöpfend.
[1] Bernard W. Bell, The Afro-American Novel and Its Tradition (Amherst: The University of Massachusetts Press, 1987), Einleitung S. XVii.
[2] Vgl. Werner Sollers, Beyond Ethnicity: Consent and Descent in American Culture (New York: Oxford University Press, 1986).
[3] James A. Snead, “Repetition as a Figure of Black Culture”, in Black Literature and Literary Theory, ed. Henry Louis Gates, Jr. (New York: Methuen, 1984).